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Hilfe über den Wolken – Grenzerfahrungen: MedEvac für die Ukraine

Koblenz (ots) –

Im Frühsommer 2022 flog die Bundeswehr regelmäßig kriegsverletzte Ukrainerinnen und Ukrainer nach Deutschland – fast alle schwer verletzt, viele traumatisiert. Drei Soldaten aus dem Sanitätsregiment 2 in Koblenz waren bei diesen Strategic Aeromedical Evacuation-Flügen, kurz StratAirMedEvac, dabei. Die Arbeit an Bord, aber gerade auch die Bilder von verletzten Kindern und Jugendlichen, die sie auf diesen Flügen sahen, haben sie verändert. Aber sie auch in ihrer Berufswahl bestärkt.

An einem sonnigen Nachmittag sitzen Hauptbootsmann Nico R., Hauptfeldwebel Christoph A. und Hauptfeldwebel Patrick G. in der Koblenzer Falckenstein-Kaserne unter einem Pavillon. Sie sprechen über ihre Erinnerungen an die Flüge, bei denen die Bundeswehr bisher insgesamt 277 Ukrainerinnen und Ukrainer nach Deutschland transportiert hat. Alle drei sind ausgebildete Notfallsanitäter, jeder von ihnen hat bisher zwei StratAirMedEvac-Flüge mitgemacht. „Wenn man am Flughafen ankommt, stehen dort Dutzende von Rettungswagen. Und in jedem warten zwei, manchmal sogar drei Patienten, die wir in das Flugzeug bringen müssen. Diese Menge an Verwundeten lernt man in der Ausbildung in Deutschland nicht kennen“, beginnt der 31-jährige Christoph sich zu erinnern. „Und es sind unschuldige Zivilisten, darunter Jugendliche und Kinder, die dann da liegen – ohne Beine, ohne Hände, ohne Arme und die einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren“, ergänzt Patrick. „Es ist unwirklich, wenn man abends noch die Bilder aus der Ukraine im Fernsehen sieht und am nächsten Tag direkt mit den Auswirkungen des Krieges konfrontiert ist.“

Von zu Hause in den Krieg

Für die Crews beginnt ein StratAirMedEvac-Einsatz sehr früh am Morgen mit der Fahrt zum Flughafen, wo die Maschine der Luftwaffe steht. Vor Ort folgen dann Briefings für die Crew. Nach dem Start gibt es ein kleines Frühstück an Bord und die letzten Vorbereitungen werden getroffen. Dazu gehört auch die Vorbereitung der medizinischen Dokumentation. „Dann schauen wir uns auch nochmal die Liste der Verletzten an. Und dann steht da: Schrapnell, Schusswunde, Schrapnell, Schrapnell, Amputation“, sagt Nico. „Und spätestens dann merkst du, dass es ernst wird.“ Bei der Landung auf dem Flughafen im polnischen Rzeszów warten dann schon die Patientinnen und Patienten, die auf dem Landweg aus der Ukraine herangefahren werden. Bis zur polnisch-ukrainischen Grenze sind es eine Stunde Fahrt, ins ukrainische Lwiw rund zweieinhalb Stunden, in die umkämpften Gebiete im Südosten der Ukraine eine halbe Tagesreise. Direkt nach der Landung beginnt für das StratAirMedEvac-Team die Arbeit.

Belastende Erlebnisse

Wenn die drei reden, klingen sie nachdenklich. Aber auch Stolz über das Geleistete schwingt in ihren Worten mit. Die drei Soldaten gehören zur 7. Kompanie des Führungsbereichs Koblenz, einem rund 450 Mann und Frau starken Teil des in Rennerod beheimateten Sanitätsregiments 2. Der Auftrag ihrer Kompanie ist der landgestützte Verwundetentransport. Personal der Einheit steht aber auch für StratAirMedEvac-Bereitschaften zur Verfügung. Christoph und Patrick sind zudem ausgebildet, um in Einsätzen auch auf Rettungshubschraubern der Bundeswehr zu arbeiten. Doch der Dienst auf einem StratAirMedEvac-Flug ist anders. „Es sind viele Patienten, die wir in das Flugzeug bringen müssen – und die Verletzungsmuster machen es doppelt anstrengend. Hinzu kommt, dass wir teilweise Kinder versorgen“, sagt Patrick. „Bei meinem ersten Flug sagte mir die Dolmetscherin, dass die Eltern von zwei Kindern an Bord bei einem Raketenangriff getötet wurden und nur noch der Opa sich kümmern könnte. Solche Schicksale lassen niemanden kalt.“ Der älteste Patient auf den StratAirMedEvac-Flügen nach Deutschland war 85 Jahre alt, der jüngste gerade einmal 10 Monate.

Eindrücke, die nah gehen

Vor jedem Flug erhält die Besatzung eine Liste von Patienten und deren Verletzungsmustern – Grundlage für die Arbeit der Teams an Bord. Nicht immer allerdings stimmen diese Listen, manchmal versterben Patienten vor der Abfahrt in der Ukraine oder auf dem Weg zum Flughafen. Christoph geht es besonders nah, wenn er schwer verletzte Zivilisten versorgen muss: „Als Soldat hat man sich entschieden, seine Gesundheit und sein Leben für sein Land einzusetzen. Zivilisten haben sicher nicht damit gerechnet, direkt Opfer dieses Krieges zu werden. Stell Dir vor, Du sitzt in der Stadt und plötzlich kracht es. Und als nächstes liegst Du auf einer Trage und Dir fehlen die Beine.“ Nachdenklich blicken sich die Männer an, schweigen eine Weile. Dann sagt der 43-jährige Patrick: „Es macht medizinisch keinen Unterschied, ob wir Soldaten oder Zivilisten versorgen. Aber wenn ich einen Zivilisten behandele, dann denke ich mir: Das könnte auch hier passieren, hier bei uns. In diesem Moment wird der Krieg greifbar.“

Nach dem Flug

Viele der Schicksale an Bord gehen dem medizinischen Team nah, nach der Landung fließen auch mal Tränen. Für Nico ganz normal: „Wir sind professionelle Helfer in der Situation, aber wir sind auch Menschen. Nach einem Einsatz reden wir über das Erlebte und können es so aufarbeiten. Und wenn das nicht gelingt, können wir professionelle Hilfe bekommen.“ So haben die drei es auch in ihrer Ausbildung zum Notfallsanitäter gelernt und im Rettungsdienst immer wieder gemacht. Und für den Fall, dass Soldatinnen oder Soldaten Hilfe benötigen, gibt es in der Bundeswehr das sogenannte psychosoziale Netzwerk mit unterschiedlichen Anlaufstellen. Trotzdem: Die Erinnerung bleibt. Besonders an eine Patientin sagt Nico: „Die Frau war nur drei Jahre älter als ich und hatte beide Beine verloren und nur noch sechs Finger. Ihr Partner trug sie wie ein Baby zum Flugzeug. Ich weiß nicht einmal, ob sie verheiratet waren. Er trug einen Ring, ihr fehlte der Ringfinger.“ Wieder Schweigen, Nico ist erst 28.

Solche Schicksale gehen allen nah. Dann bringt es Christoph auf den Punkt: „Nachbereitung ist das eine. Aber viel wichtiger ist die Vorbereitung – vor allen Dingen die geistige.“ Alle nicken. „Du musst Dich vorher mit dem auseinandersetzen, was Dich erwarten könnte. Und gehst im Kopf durch, was Du gelernt hast und wie Du reagieren musst.“ Und Patrick ergänzt: „Und Du musst deine Ausrüstung blind beherrschen, um Dich dann in der Situation auf Deinen Patienten konzentrieren zu können.“

Vorbereitung ist alles

Um die hohen Anforderungen der Patientenversorgung auf einem StratAirMedEvac-Flug bewältigen zu können, setzen die drei Sanitätssoldaten außerdem auf einen intensiven Austausch innerhalb des Teams. „Jeder teilt seine Erfahrungen mit den anderen und wir geben uns praktische Tipps“, sagt Christoph. „Nur so können wir ständig besser werden.“ Ihre Entscheidung, sich für andere Menschen einzusetzen, haben die drei Notfallsanitäter auch angesichts kriegsverletzter Kinder nie bereut. „Die Erfahrungen eines solchen StratAirMedEvac-Fluges lassen einen wachsen“, sagt Nico. Und Patrick ergänzt: „Und wir konnten den Menschen helfen.“ Noch ein paar Minuten sitzen die Männer unter dem Pavillon in der Koblenzer Falckenstein-Kaserne und reden. Dann gehen sie wieder zum Dienst in ihre Kompanie.

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